Dienstag, 26. November 2013


Szenerie 10


Ich würde sagen, dass ich ein wenig Wert auf mein äußeres Erscheinungsbild lege. Nicht übertrieben viel, aber ich glaube immerhin so viel, sodass der unvoreingenommene Bürger mich nicht direkt als Maschinenbaustudent klassifiziert.Ich bin halt eitel und stehe dazu. Ein besonderes Augenmerk lege ich dabei jedoch auf körperliche Fitness. Manchmal könnte man es fast "fanatisch" nennen. Schon einige Male hat meine Mutter mein Eiweißpulver versteckt, um zu verhindern, dass ihr eigener Sohn bald sein Handy nicht mehr ans eigene Ohr halten kann. Half alles nichts. Ich telefoniere jetzt nur noch mit der Freisprechanlage. Spaß.

Hier in Dalian habe ich mich mit ein paar Freunden bei einem Fitnessstudio angemeldet. Im Alltag verwendet man jedoch niemals den Begriff Fitnessstudio, sondern ausschließlich Synonyme wie „Tempel“ oder „Schmiede“. Passende Verben dazu wären dann „schmieden“ und „tempeln“. Ein kompletter Satz wäre dann z.B.: „Ich gehe um acht in die Schmiede“ oder „Ich gehe um acht tempeln.“. Ich denke man kann die Position meiner Mutter ein wenig nachvollziehen.


„Whytewolf“ nennt sich mein neuer Tempel. 

„Hast du deinen Reisepass mit?! Wir brauchen deine Passnummer für die Anmeldung!“
„Ehm, nee…?
„Egal, geht auch ohne!“, sagt die kurzhaarige Frau in einem Tonfall, der einen kurz darüber nachdenken lässt ob man sich jetzt gerade bei der Volksarmee verpflichtet oder aus freien Stücken ein Fitnessstudio aufgesucht hat. Gefühle wie ein Backstein. Wenn sie lächelt, dann sieht es so aus als hätte sie es sich mühselig antrainiert und würde ihr zugleich fürchterliche Schmerzen bereiten. Eine krassere Fehlbesetzung als Kundenbetreuerin direkt am Eingang ließe sich wohl kaum finden. Irgendetwas läuft nicht ganz rund mit den Verträgen. Sie hat die Namen irgendwie vertauscht. Ein Freund meint ich soll der Offizierin mal sagen, dass sie nichts kann und sowieso immer alles falsch im Leben macht. Einfach mal aus Spaß. Noch bevor ich den Satz aussprechen könnte hätte sie mir einfach mal aus Spaß eine Hantelscheibe gegen den Kopf geworfen.

33€ pro Monat, fast tägliche Anrufe von denen, weil die mir wieder irgendeinen Tanzkurs anbieten wollen und eine Männergesellschaft in den Umkleiden, die sich auch die Schamhaare nachdem Duschen föhnen. Ich hab‘s selbst gesehen. Die meisten Leute gehen dorthin, um sich in den Sesseln im Eingangsbereich niederzulassen, ihre Gesichter eventuell mit ein bisschen Wasser benetzen, um dann kurz darauf mit Selfpics ihren Fleiß dokumentieren. Hashtag du hast es bis nach China geschafft. Aber es gibt natürlich auch ehrgeizige Leute und pseudoüberehrgeizige Leute. Die Ehrgeizigen sind mir sympathisch. Von den Anderen gibt’s hier und da welche und sind daran zu erkennen, dass sie zu 100% Männer sind, manchmal eine fingerdicke Goldkette tragen, Oberkörper frei unterwegs sind und nach jedem Trainingssatz zum Spiegel laufen, um den wachsenden Bizeps online mit einem Hashtag zu versehen.


Die Toilette ist nicht besonders groß, aber so etwas würde mich ja nicht weiter stören. Wenn man es mal genau betrachtet betritt man keine 4qm große Toilette sondern, eine 4qm große Disco. Es läuft Lady Gaga-Pokerface auf einer Lautstärke, die definitiv die EU-Norm für 4qm große neon-beleuchtete weiß geflieste Toiletten überschritten hat. In diesem Augenblick frage ich mich wirklich was eigentlich das kleinere Übel ist. Der EU-Regulierungswahnsinn oder einfach mal so ne' kleine Minidisco mit Tinitusgarantie.

Montag, 4. November 2013


Szenerie 9


Der Friedhof der Kuscheltiere liegt zu meinen Füßen. Sie sind zum Verkauf gedacht und wurden alle sorgfältig auf einer Treppe vor dem Fake-Markt aufgereiht. In der Nähe sitzt ein gedankenverlorenes Mädchen auf einem Stuhl. Neben ihr hat sie einen einzelnen Lautsprecher aufgestellt, der den Passanten die neusten Tracks der chinesischen Gabbaszene an den Kopf hämmert. Ihre Körperhaltung und die der Kuscheltiere sind synchron. Sie kann nur die Verkäuferin sein oder eine unmotivierte Animateurin, die die toten Kuscheltiere zum Leben erwecken möchte.

Der Fake-Markt ist ein fünfstöckiges Gebäude indem es alle Produkte gibt, die man mehr oder weniger fälschen kann. Dicht an dicht liegen die Läden beieinander. Man kann Beats Kopfhörer kaufen, aber definitiv keine Beats Kopfhörer erwarten. Neben Handyverkäufer und Elektronikläden verkauft gleich daneben jemand Aquarien, Fische und Schildkröten. Der ein oder andere Goldfisch schwimmt bereits waagerecht durch seinen Glaskasten. 
Bei einem Schreibwarenhändler kaufe ich mir fünf Faber-Castell Bleistifte. Umgerechnet kosten sie vielleicht 50 Cent. Es steht sogar Made in Germany drauf.

In der nächsten Etage kann man sich mit allen nur vorstellbaren Kleidungsstücken einkleiden. Ein Verkäufer zeigt aufgeregt auf eine pinke Cap mit einem fransigen Polyesterüberzug. Oben auf der Cap ist ein kleines Rentiergeweih angenäht. Er meint sie würde mir stehen. Natürlich würde sie das. Die mit den Mickey-Mouse Ohren und die mit den Pikachu-Aufnähern kaufe ich gleich mit. Wenn er mir dann noch sagen würde, dass alle 100% Baumwolle sind, würde ich ihm das Doppelte zahlen. In einem anderen Stockwerk wurde alles mit Schuhen zugestellt. Plateauschuhe, Gummistiefel, Cowboystiefel, Chucks, Nikes, New Balance usw. Es stinkt wie in einer Reifenfabrik. Als würde noch nebenan jemand aus flüssigem Kautschuk und Sekundenkleber Schuhe zusammenbasteln. Ganz oben im Gebäude angekommen, kann man sich Hemden, Anzüge, Hosen und sonstige Kleidungsstücke Maßschneidern lassen. Man kann sich den Stoff und das Design selbst aussuchen und auch sonst jegliche Details der Schneiderin mitteilen. Umgerechnet kann man sich je nach Stoff einen Anzug für 30€-120€ anfertigen lassen. Auf das Angebot werde ich auf jeden Fall zurückkommen. Weißer Anzug, Schlangenleder Schuhe, weißer Hut kombiniert mit einem Gehstock mit goldenem Griff. So etwas stell ich mir vor.

Wir steigen in den Aufzug, um wieder nach unten zu gelangen. In der Ecke sitzt eine Frau, die den ganzen Tag nichts anderes tut als die Knöpfe des Fahrstuhls zu drücken. Den ganzen Tag sieht sie nichts anderes als diese 3qm mit Neonbeleuchtung. Ein wirklich bemitleidenswerter Job wie ich finde. Wie gut wir es doch haben. Draußen bläst mir der frische Wind ins Gesicht. Wobei die Luft in China mit 10-fach so hoher Feinstaubbelastung als in Deutschland auch nur bedingt „frisch“ ist. Manchmal glaube ich deshalb, dass Raucher in China, da sie öfters durch den Filter „atmen“, gesünder leben als Nichtraucher. Aber solange dies nicht bewiesen ist, werde ich Nichtraucher bleiben.


Szenerie 8


6:30 mein Handywecker klingelt. Es ist der klassische Marimba Xylophon Standardklingelton eines jeden Iphones. Falls die Chinesen nicht um vier Uhr morgens Raketen und Böller zünden, dann ist Marimba i.d.R. das erste was meinen Geist am morgen malträtiert. Um nicht nachdem Duschen zu frieren, putze ich mir unter Dusche neuerdings auch die Zähne. Mit der freien Hand mache ich mir abwechselnd Seitenscheitel, Mittelscheitel oder ne schmierige Juristenfrisur. Mit meinem Mund voller Zahnpastaschaum und einem Mittelscheitel könnte ich übrigens locker als Psychopath durchgehen.

Nach allerlei morgendlicher Körperhygiene verlasse ich das Haus. Es ist heute sehr frisch. Ich steige wie jeden Morgen in den überhitzten VW-Bus ein. Hier ist keine Sparsamkeit angesagt. Im VW-Werk tapezieren sie alles voll mit Aufklebern wo „Blue Thinking“ draufsteht. Erst die Klimaanlage ausschalten und dann das Fenster öffnen. Bitte eine eigene Tasse zum Kaffee trinken mitbringen, denn die Pappbecher sind umweltbelastend. Beim Hände abtrocknen bitte nur ein Blatt Papier verwenden. Ehe man in den Bus einsteigt kommt einem schon eine beißende Sahara-Hitze entgegen. Man kann nicht ganz einordnen ob die Insassen schlafen, längst in eine Hitzestarre verfallen sind oder vielleicht sogar darauf warten, dass ein nackter Mongole den nächsten Aufguss tätigt. Wenn man nicht sofort seine Jacke auszieht, läuft man der Gefahr im eigenen Saft zu ertrinken.

Im Büro haben wir eine Fliegenplage. Egal wie viele man totschlägt. Am nächsten Tag sind es mehr oder mindestens genauso viele wie am Vortag. Vor meinem Computer sitze ich mit einem Kaffee in der linken Hand und mit einer Fliegenklatsche in der rechten Hand. Eine Fliege landet neben meinem Kaffeebecher. Ich schlage zu. Die fliege lebt und der Kaffee entleert sich gierig über meiner Hose. Er ist überall nur nicht mehr im Becher. Ich stehe kurz vorm Ausraster. „Student läuft wegen einer Fliege mit Fliegenklatsche im VW-Werk Amok“ wäre die Schlagzeile. Fliegen fördern Terrorismus. Wer hätte das gedacht. In 10 Minuten ist das Morgenmeeting. Ich sehe aus als hätte ich beim Duschen die Hose anbehalten. Im Morgenmeeting fragt mich mein Sitznachbar was passiert ist. Ich erzähle ihn von der Fliege und dem Kaffee. Er freut sich sehr. 

Nachdem Meeting mache ich mir einen grünen Tee. Ich lehn mich zurück, stütz den Tee auf meinem Bauch ab und studiere ein Konzept zur Demontage eines Mechatronikbauteils. Auf einmal überkommt mich ein Schluckauf. Der Tee beginnt auf meinem Bauch zu wippen und schwappt über. Mein Hemd ist voll mit grünem Tee und meine Hose voll mit Kaffee. Es ist einer dieser Tage an dem man nur im Bett eine hohe Lebensqualität zu erwarten hat.

Montag, 21. Oktober 2013


Szenerie 7

Oft fragen mich Mitarbeiter nach technischen Begriffen. „Was heißt Schaltgabelmagnet auf Chinesisch?“, „Wie kann man Plasmanitration ins Chinesische übersetzen ?“ und „Wie drücke ich auf Deutsch aus, dass ich den Freiraum zwischen zwei unbündigen Zahnrädern meine?“. Manchmal muss ich mir das Problem erstmal zehn Minuten erklären lassen, damit ich verstehe was der Mann überhaupt von mir will. „Du weißt schon. Bei der Plasmanitration wird doch so ne korrosionsbeständige Verbindungsschicht mithilfe von Sticktstoff auf die Nockenstücke gedampft. Du kennst das auf jeden Fall ! Wie sagt man das auf Deutsch?“ Klar kenn ich das. Ich hab das Handbuch eurer Nitratöfen immer unter meinem Kopfkissen liegen. Fachchinesisch auf Chinesisch.
Neulich waren ein paar Mitarbeiter aus Südkorea, Beijing, Deutschland und irgendetwas Angelsächsisches zu Gast. Ein Ingenieur meiner Abteilung sollte eine Werksführung leiten. Ich musste das Gesprochene vom Chinesischen ins Deutsche und Englische übersetzen. Und dann ging es wieder los. „An dieser Drehmaschine stellen wir die Getriebewellen 1,2,3 her, hier werden die Aussparungen gefräst, hier ist die Mechatronik-Abteilung, natürlich ESD-Sicher, mit Sauberraum und wenn du rein willst, dann bitte erst mal entelektrisieren. Hier sehen Sie die Ölpumpe, hier im Unterkasten den elektrischen Gangsteller für das Getriebe und hier in den Drüsen hat man extra Mikromesser eingebaut, um mögliche Schmutzpartikel zu zerschneiden.“ Ja ne ist klar. Nach 2-3 Stunden Werksführung war mein Mund ein geschundenes Stück Fleisch.
Ich mache heute Überstunden. Der Artikel sei sehr wichtig und muss noch vor diesem Wochenende fertiggestellt werden. Er soll dann auf der Homepage veröffentlicht werden. Es ist mal etwas ganz anderes. Sätze ohne Schaltgabelmagnet und Co. Ein Arbeiter aus der Mechatronik hat seine Erfahrungen bei VW in einem Aufsatz zusammengefasst. Wenn man ihn komplett übersetzt hätte, dann würden sich die deutschen Mitarbeiter wohl ernsthafte Sorgen machen. Sätze wie „Der Wind streichelte meinen Ärmel zärtlich und erinnerte mich an den Hauch zweier sich Liebenden.“ existieren noch und nöcher. Ich lass‘ den überflüssigen Kitsch weg. Übersetze die Fakten. „Der Wind bläst“. 
Im letzten Abschnitt wird er dann zum träumenden Poeten. Weder ich noch meine chinesischen Mitarbeiter wissen was unser Konfuzius aus der Mechatronik ausdrücken möchte. Vielleicht hat er sich zu oft entelektrisiert. Auf einmal führt er ein lyrisches „Du“ ein, verliebt sich, listet nostalgische Momente seiner Jugend auf etc. . Am Ende steht : „Volkswagen ich liebe dich. Ich folge dir überall hin.“ Ähnlich abstrakt stell ich mir Faust II in Gebärdensprache vor. Ich wünschte ich dürfte jemandem Plasmanitration übersetzen. Denn das wüsste ich. 等离子硝化(denglizi xiaohua). 

Freitag, 18. Oktober 2013


Szenerie 6

Es ist ja irgendwie alles relativ. Für diese Erkenntnis muss man nicht Einstein sein. Ob es hier kalt im Winter ist frage ich. „Es geht“ lautet die Antwort immer. Wenn man fragt was „Es geht“ bedeutet, dann sagen sie dir „so minus 15 Grad“. Relativ kalt find ich. Wenn ich frage wie weit Harbin von Dalian entfernt ist, sagen sie „nicht so weit“. 12 Stunden mit dem Zug, wenn man nachfragt. Relativ lang find ich. Wenn im Aufzug ein Rauchenverboten-Schild klebt, dann lediglich zur Dekoration. Geraucht wird trotzdem. Wahrscheinlich auch nur so ein relativistischer Quatsch. Ähnliches Phänomen habe ich beim Straßenverkehr bemerken können. Fahrverhalten als wäre die Rot-Grün-Schwäche eine Nationalkrankheit. 
Es ist morgens. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Während uns zwei Autos ohne Nummernschilder entgegenkommen, fährt mein Taxifahrer über die rote Ampel und verschafft sich mit durchgehendem Hupen auf der Kreuzung Aufmerksamkeit. Danach spuckt er aus dem Fenster, nimmt das Kurzwellenmikro in die Hand, schreit launisch irgendetwas hinein und zündet sich dann eine Zigarette an. Es gilt das Gesetz des Dschungels und mein Taxifahrer hält sich für King Kong. Nur im Panzer kannst du hier absolut sicher vorm Tod sein. 
Neulich hat mir ein Praktikant einer anderen Firma von einem Mitarbeiter erzählt. Er arbeite wohl bereits seit über 15 Jahren hier in China. Er sei des Weiteren komplett assimiliert was den Straßenverkehr angehe. Wenn er rede, dann verwende er wohl ausschließlich Schimpfwörter. Die sinntragenden Wörter könne man deshalb an einer Hand abzählen. Er war früher wohl einmal Rallyfahrer, aber hat es nicht weit bringen können. Vielleicht seiner Wortwahl verschuldet. Er verwirklicht sich tagtäglich auf den Straßen Dalians und jagt seinem längst verblassten Traum als Michael Schuhmacher in einem VW Santana hinterher. Seine Tachonadel verlässt den roten Drehzahlbereich nie, weshalb wohl die ein oder andere Zylinderkopfdichtung passé ist. Man nennt ihn ganz stumpf Super Mario. Ich bin ihm nie begegnet, aber wenn ich mir meinen Taxifahrer anschaue, dann glaub ich die Geschichte sofort. Nach 15 Jahren China kann man einen Mann, den man Super Mario nennt, in seiner Heimat nicht mehr integrieren.
Mein Taxifahrer hält vor unserem Haupttor. Er will 4 RMB mehr haben als auf dem Zähler steht. 1 € sind ca. 8,2 RMB. Ich sage nein. Er argumentiert, dass es für mich relativ wenig Geld wäre. Jaja ich weiß. Es ist alles relativ. Sogar Super Marios Fahrstil.

Freitag, 11. Oktober 2013


Szenerie 5

Es muss von ganz unten kommen. Tief vom Herzen. Mit ganzer Überzeugung. Wenn man ihn dann gefunden hat, ihn fixiert hat und ihn gebündelt hat, dann muss man eine Verbindung mit dem Asphalt herstellen. Sobald diese Verbindung dann besteht, dann rotzen manche Chinesen ihren Schleim erbarmungslos in die Außenwelt. Als müsste man die Welt bereichern. So hat es mir ein Österreicher erklärt, der bereits mehrere Jahre hier lebt. Es ist erbarmungslos ekelig. Am verstörtesten ist man, wenn es Frauen machen. Ein Mitarbeiter, der hier bereits vier Jahre arbeitet, sah in seinem ersten Monat eine wunderhübsche Frau. Sie ging langsam an seinem Auto vorbei und er konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Dann stellte sie diese „Verbindung“ mit dem Asphalt her. Seitdem ist dieser Mann mental geschädigt. Selbst nach vier Jahren leidet er noch an diesem Trauma. Psychisch irreparabler Totalschaden.
Meistens läuft mir bereits ein Schauer über den Rücken, wenn sie ihn, also jenen Schleim, hochziehen. Der Vorgang des Hochziehens geht Hand in Hand mit einer einzigartigen Geräuschkulisse. Nach schätzungsweise zwei Sekunden, ich vermute das ist der Vorgang an dem die, ja wie soll ich sagen, Munition gebündelt wird, wird die Verbindung mit dem Asphalt hergestellt. Die Verbindung gelingt wahrscheinlich schon intuitiv. Vielleicht habe ich als Halbchinese auch noch irgendwo in mir dieses Gen versteckt, um diese sonderbaren kehligen Geräusche von mir zu geben.
Wie soll man da am besten reagieren? In der anfänglichen Phase verfiel ich recht häufig in eine Schockstarre. Man möchte nicht wahrhaben, dass jeder zweite Chinese begierig seinen Speichel mit seiner Umgebung teilen möchte. Gerade in bevölkerungsdichten Ländern sollte man doch auf Hygienestandards setzen, damit sich Krankheiten nicht schnell ausbreiten können. Da ich nach einer Zeit nicht genau wusste wie ich mit dieser Gepflogenheit umgehen soll, probiere ich mich neuerdings darin unmittelbar nach diesem verstörenden Geräusch an etwas Schönes, Fröhliches oder Gutriechendes zu denken. Gustav Klimt - Der Kuss, Kate Upton, Bankdrücken, Terre D‘Hérmes, Flieder, Lammkeule mit Rosmarin und so weiter. Am effektivsten sind aber wahrscheinlich Oropax.
Man bleibt wirklich nirgendwo verschont. Auf der Straße ist man froh, wenn man nicht reintritt. Im Büro wird häufig ein Kanon angesetzt. Auf der Toilette kann man aufgrund seiner eigenen Tätigkeit auch nicht so schnell die Flucht ergreifen. Im Restaurant hofft man, dass der chinesische Sitznachbar bei seinem Rotzreflex nicht aus Versehen an seiner Nudelsuppe erstickt.  Es verfolgt dich überall hin. Heute morgen vor meiner Haustür stand wieder einmal ein Mann, der wohl wie tausend Andere seinen Tag mit einem kehligen Ausspucken beginnt. Ich begann meinen mit Lammkeule und Rosmarin.

Mittwoch, 9. Oktober 2013


Szenerie 4

Ich war am Wochenende mal feiern.  Also feiern nach mehr oder weniger westlichen Stil. Davor die Abende waren eher so Sitzveranstaltungen. Die meisten Clubs hier sind so konzipiert, dass man sich dort an einen Tisch setzt, ein Bier trinkt und sich luftig gekleidete Frauen bei  Stangenturnübungen anschaut.  Ist ja nicht verwerflich. Unterhalten geht dabei leider nicht, weil die Musik einfach zu laut ist. Man muss sich schon ins Ohr schreien, um bloß mitteilen zu wollen, dass man eben auf die Toilette verschwindet. Bei einer Konversation mit mehr als drei Sätzen würde der totale Hörverlust deshalb unimittelbar folgen.  Die Tänzerinnen haben mich trotzdem sehr beeindruckt. Nach ein paar Räkelübungen wurde uns die Geschichte zu monton und wir gingen ins JD’s.  Soll wohl eher ein Club nach meinem Verständnis sein.
Koreaner, Japaner, Inder, Chinesen, Amerikaner, Russen, Briten und natürlich auch Deutsche zappelten dort Hand in Hand. Einer schräger als der andere. Ein Chinese im HipHop-Verschnitt hatte Rasterlocken und sich zusätzlich neonfarbene Schnürsenkel hinein geflochten. Warum auch nicht. An seinen Schuhen hatte er dann aber wiederum keine. Paar Russen und paar Koreaner waren dort mit einem gewissen Klassenstreberlook unterwegs. Vielleicht dem Psy-Hype verschuldet. Eine Japanerin, die zuvor noch in der Lounge Alicia Keys – No One  mit eigener Klavierbegleitung performt hatte, kam mit mir ins Gespräch. Ich wollte ihr eine Zigarette anzünden. Sie zuckte jedes Mal zurück als ich ihr das Feuerzeug hinhielt. Nachdem vierten Mal zucken fragte ich was sie denn da tue. Ich wollte fast schon sagen, dass ich mich mit Zwangsneurosen auskenne. Sie lallte sie sei schüchtern. Mein Geduldsfaden riss und die Zigarette blieb aus. Ein weiterer asiatischer Kerl tanzte mit geschlossenen Augen auf einer Box und vollführte eigenartige Bewegungen mit seinen Händen. Man hätte glauben können er beschwöre gerade einen Geist.
Die Musik war sowieso der Hammer. Neben aggressiver Technomusik wurden gelegentlich Klassiker aus verschiedenen Nationen gespielt. Russischer HipHop lief bestimmt eine Stunde lang. Bei Gangnam-Style war sowieso Ausnahmezustand. Der ein oder andere Koreaner hätte wohl vor Euphorie am liebsten seine Nationalhymne damit ersetzt.  Klassiker wie Macarena durften natürlich auch nicht fehlen. Das Japangedudel verstand ich so wenig wie das Russische, aber wen stört das hier schon. Womit man das „Deutschsprachige“  vertreten hat war dann leider eher beschämend. Nein, es war nicht Andrea Nahles mit Pipi Langstrumpf, aber fast genauso schlimm. Dj Ötzis Hit Hey Baby veranlasste mich dann freiwillig den Dancefloor beschämt in Richtung einer dunklen Ecke zu verlassen.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Szenerie 3


Es sind momentan chinesische Nationalfeiertage. Ich kann leider nicht genau in Erfahrung bringen was eigentlich gefeiert wird. Allen Anschein zufolge hat es was mit der Gründung Chinas 1949 zutun, aber vertraut mir lieber nicht. Aufgrund der Nationalfeiertage ist auch hier in Dalian die Sau los, der Hund inner Pfanne und die Katz gebraten ausm Sack. Ihr wisst schon was ich meine. Menschen soweit das Auge reicht.

An Straßenecken gibts New Balance Schuhe mit spiegelverkehrten „N“ draufgenäht, ein Schreihals, der ununterbrochen „Dalian“ brüllt und damit kundtun möchte, dass er noch Platz im Taxi hat, erinnert mich an Klaus Kinski in Hochform. Ob sie auch schon Menschen fälschen ? Es wäre gewiss eine Marktlücke.
Ich begebe mich in Richtung meines Lieblingscafes, das MAAN Coffee, dessen Inneneinrichtung auf eine rustikale Art und Weise mir sehr liegt. Eine alte Industriehalle hat man renoviert, jedoch wurde ihr ursprünglicher Touch teilweise beibehalten. Bevor ich jedoch beim Cafe bin, muss ich noch durch den „Werbetunnel“.

Um die Straße zu überqueren wurde eine Unterführung angelegt. Schon in Deutschland werd ich zum Hirsch, wenn mir Leute Flyer in die Hand drücken, ein Abo von irgendeiner Zeitung andrehen möchten oder wenn mir Ergo-Handlanger Komplimente machen, um mich gleich im nächsten Satz in ihr dubioses schneeballprinzipähnliches Kartell einweihen wollen. Der Werbetunnel ist all dies nur hoch tausend. Sie stehen links. Sie stehen rechts. Überall sind Menschen in der Unterführung, quatschen durcheinander und wedeln dir mit Flyern vor der Nase rum als wollten sie professionell Insekten verjagen. Würde man alle Flyer entgegennehmen, man müsste auf der anderen Straßenseite mit einem telefonbuchdicken Stapel wieder an die Oberfläche treten.Im Hintergrund läuft aus verschiedenen Lautsprechern Techno oder verzerrte Werbestimmen in Dauerschleife. Kauf dies, kauf das. So sieht also der angewandte Kommunismus aus. Die kommende Ballettshow, ein Meisterwerk, die Breakdancecrew aus Peking, sowieso unschlagbar, und warum ich mir keine Wohnung kaufe für 360€/qm mit Meerblick, weil meine Grenze 359 € ist. Nervt mich doch bitte nicht.

Später am Abend geht es dann mit einigen Kollegen auf eine kleine Bar-Sideseeingtour. So sagt zumindest einer von ihnen. Es gibt viel Wodka etwas Bier und eine Asiatin, die wahrscheinlich schon im Mutterleib mit einem Kickertisch gespielt hat. Sie ist mir haushoch überlegen. Ich erzähl ihr ich würde grundsätzlich Frauen gewinnen lassen. Sie lacht. Ich bleibe ernst. Ich erinnere mich an ein Meme mit der Botschaft:“ When you think you are good at something remember there is always an Asian to humiliate you.“ 

Um 5 Uhr morgens geht es nach Hause. Ich trete in meine Wohnung. Eine ungünstige Bewegung. Die Schulter streift das Wandtelefon. Es fällt wie von Geisterhand von der Wand. Die Standards halt. Ich ziehe die Gardine zu und in der Ferne hellt es bereits auf. Um 8 uhr knallt und donnert es als würde noch im nächsten Augenblick ein Sonderkommando in meine Wohnung stürmen, um mich dafür zu belangen, dass ich heimlich Facebook verwende. Der Elektronikladen unten feiert sein Jubiläum und will auf sich aufmerksam machen. Je lauter desto besser ist das Motto. Vier Frauen dreschen auf mannsgroße Trommeln ein und als ob das noch nicht martialisch genug wäre werden abwechselnd dazu Böller und Raketen gezündet. Der Werbetunnel ist Überall. Mein Hirn schmerzt furchtbar und will förmlich aus meinem Schädel ausbrechen. Mir geht wirklich nicht gut. Ich blicke zur Haustür und sehe ein ausgerissenes Wandtelefon.

Sonntag, 29. September 2013


Szenerie 2


Dem Praktikum verschuldet habe ich eine neue Zwangsneurose entwickelt. Neben meines geistigen Fehlers in Ubahnen möglichst keine Haltevorrichtungen zu berühren, entwickelt sich bei mir neuerdings eine weitere Verwirrung.
Jeden Morgen werde ich von einem Mitarbeiterbus von VW abgeholt und werde zum Werk gefahren. Dort wird übrigens das Doppelkupplungsgetriebe DQ-200 für den asiatischen Markt hergestellt. Nachdem ich ein Drehkreuz und eine sich automatisch öffnende Tür passiert habe, stehe ich neuerdings etwas zögerlich vor dem dritten und letzten Hindernis. In neun von zehn Fällen kassiere ich einen elektrischen Stoß, sobald ich die Türklinke berühre, weshalb ich immer hoffe, dass jemand anderes durch Zufall vorbeikommt und ebenfalls durch diese Tür gehen muss. Der Stoß ist nicht wirklich schmerzhaft, jedoch auch nicht wirklich angenehm. Ein kleines Knistern ist zuhören und zeitgleich zuckt der Körper etwas zusammen. Genau dieses Zusammenzucken gefällt mir morgens um 7:45 eigentlich überhaupt nicht.
Obwohl ich fast permanent von dieser einen Tür elektrisiert werde, habe ich gegenüber anderen Türklinken eine ähnliche Abneigung entwickelt. Fast vor jeder Tür, und damit seien zum Glück bis jetzt lediglich die Türen im VW-Werk gemeint, stehe ich zögerlich 2-3 Sekunden, um dann einen elektrischen Stoß zu erwarten. In der Regel passiert bei anderen Türen überhaupt nichts.
Die mentale Anspannung bevor ich Türen öffne lässt mich altern. Da man oftmals Türen nur mühselig bis gar nicht umgehen kann, um einen Raum zu betreten, muss man notgedrungen Türen öffnen oder sich öffnen lassen. Jene Tür mit elektrischen Beigeschmack kann ich mit einem größeren Aufwand umgehen. Als ich dies neulich tat stand ich wieder einmal 2-3 Sekunden vor einer anderen Tür. Als ich dann auf die Tür zuging, um nach ihrer Klinke zu greifen, riss von der anderen Seite ein Arbeiter die Tür auf und knallte sie mir gegen den Kopf. 

Mittwoch, 11. September 2013

Szenerie 1



Mein Bett besitzt kein Lattenross, die Matratze ist vier Zentimeter dick und meine Waschmaschine besitzt ein viertelstuendiges Kaltwaschprogramm, dessen Abschluss die Entleerung des Abwassers in mein Badezimmer ist. 
Gestern habe ich meine Wohnung in Dalian bezogen. Zuvor habe ich einem Hotel gewohnt, dessen Zimmerteppich grauschwarz verfärbt war, sich stellenweise wölbte  und den Geruch von tausend Aschenbechern absonderte. Es war ein Zimmer mit ausgewogenem Komfort, wenn man den Geruch mal außer Acht gelassen hat. Ich war im Besitz einer Toilette mit wärmeregulierter Kloschüssel, einem zensierten Internet und Handtücher mit merkwürdigen chemikalischen Gerüchen, die jedoch nicht weiter störten, wenn man die Luft anhielt.
Meine Wohnung birgt, im Gegensatz zu meinem Hotelzimmer, andere Eigenarten. Um das Bad zu reinigen, habe ich mir verschiedene Produkte gekauft. Nachdem ich alle Ecken des Bads abwechselnd mit Desinfektionsmittel, Badreiniger und Stahlwolle bearbeitet habe, habe ich die Waschmaschine angestellt. Meine Waschmaschine besitzt keine besondere Vielfalt an Waschprogrammen, sodass ich mich für das Programm entschied, das der Vermieter mir zuvor empfohlen hatte. Nach ungefähr 15 Minuten beendete die Waschmaschine ihr Waschprogramm mit einem Piepen und entleerte ihr Abwasser über ein abstehendes Rohr mitten ins Badezimmer. Nachdem ich zuvor einige Zeit aufgebracht hatte, um das Bad zu reinigen, war ich etwas erbost über die Konstruktion des Badezimmers. In solchen Fällen wünsch ich den Menschen Unheil. 
Später am Abend legte ich mich schlafen. Mein Bett ist sehr hart, da sowohl kein Lattenrost als auch keine richtige Matratze vorhanden ist. Lediglich eine vier Zentimeter dicke Unterlage liegt auf einer Spanholzplatte, sodass ich eigentlich unmittelbar auf einem Holzbrett nächtige. Wenn man auf dem Rücken oder auf dem Bauch liegt kann man einigermaßen schlafen, aber wenn man auf der Seite liegt, setzt bereits nach kurzer Zeit ein Taubheitsgefuehl im Arm ein, sodass man befürchten muss, dass der Arm über  Nacht abstirbt. Um die Temperatur im Zimmer zu regulieren, kann man die Fenster öffnen, da jedoch das Hochhaus direkt an einer dichtbefahrenen  Hauptstraße  liegt, strömt neben der gewollten kühlen Frischluft auch ein stetiger Strom an Straßenlärm in die Wohnung. Man muss gut abwägen mit welchem Übel man besser schlafen kann. Ich schlief mit offenem Fenster und wurde deshalb ebenfalls noch Opfer von vier Mückenstichen. 
Deutsche Standards kann man halt nicht überall erwarten, jedoch lerne ich sie immer mehr zu schätzen. Da ich bei VW mein Praktikum mache, sind die Standards dort fast schon akribisch genau. Vielleicht war es genau das was mir neulich zum Verhängnis wurde. Bevor mein sonnenzugewandter Rücken zu entflammen drohte, bin ich aufgestanden und wollte die Jalousie herunterziehen. Mit einem Ruck entfernte ich die komplette Konstruktion mit einem schrillen Lärm von der Decke, sodass alle Mitarbeiter im Büro unweigerlich in meine Richtung blicken mussten.
Selbst deutsche Standards sind fehlbar.