Dienstag, 4. Februar 2014

Szenerie 11

Mein letzter Arbeitstag bei VW. Die letzten Abschiede. Ein paar Nummern werden ausgetauscht und ein paar Freunde werden noch gedrückt. Morgen beginnen die Feiertage des chinesischen Frühlingsfest. Schon sitze ich mit meinem Kumpanen Mave im Zug Richtung Harbin. Harbin ist berühmt für seine Kälte, seine mangelnde Wärme und seinem Ice Festival. Genau das ist auch der Grund warum wir dahin reisen. Wir wollen uns bei minus 20-30 dieses Festival anschauen.

Im Zug ist Mave natürlich das einzige Weißbrot weit und breit. Ich gehe idR. mit meiner Asia-Tarnung etwas unter, aber mit ihm wird man natürlich sofort zur Attraktion. LaoWei oder WeiGuoRen (beides chin. für Ausländer) wird dann getuschelt und die chinesischen Augen können sich vom weißen Bruder nicht mehr so richtig lösen. Mal ist es lustig. Mal ist es komisch. Mal ist es nervig. 

Im Zug sitzt neben mir ein Kerl, der sich bei WeChat (whatsapp in China) männlicher Gott nennt. Den richtigen Namen habe ich leider vergessen. Wir kommen ins Gespräch nachdem ich ihn frage warum er denn bei jeder Haltestelle für knapp eine Minute rausrennt. Ich begleite ihn nach draußen und sehe wie dort ein ganzer Mop von Chinesen steht. Ein Jeder saugt gierig an seiner Zigarette wie das neuste Dyson Staubsaugermodel an Omas Teppich.
Der gelernte Friseur reist zurück zu seiner Familie nach Nordchina, um dort das Chinesische Neujahr zu feiern. Er erzählt mir, dass er in Harbin aussteigt und von dort aus erneut 12 Stunden mit einem Zug fahren muss. Sein Dorf läge des Weiteren wohl fast unimittelbar an Russland dran, jedoch werden dort beide Länder von einem Fluss getrennt und man könne sowieso nicht so einfach rüber, da dort überall Wachposten stationiert wären. Vor knapp 20 Jahren sagt er kamen russische Viehzüchter regelmäßig nach China in sein Dorf, um selbstgemachte Lederprodukte gegen Süßigkeiten einzutauschen. So hätte man gegen eine Handvoll Süßigkeiten eine 1A Lederjacke bekommen. Aber auch diese goldenen Zeiten haben sich scheinbar geändert. Russland hat jetzt seine eigenen Bonbons.

Als wir in Harbin ankommen fragt mich unser neuer Freund noch ob wir keine Angst vor der Kälte hätten mit so wenig Anziehsachen. Während Mave und ich jeder jeweils zwei Pullover, ein Tshirt, zwei paar Hosen, eine Jacke und restlichen Schnick Schnack anhaben, hat dieser Scherzkeks ein Tshirt und eine Jacke mit extrem tiefen Ausschnitt an, deren Krönung der künstliche schwarze Fellkragen in XXL-Format ist. Als Schuhe hat er ein paar Stoffslipper an. Man hätte den Jungen so wie er da steht direkt hinter eine Bar auf der Reeperbahn stellen können. Er meint er wäre die Kälte gewöhnt und es mache ihm nichts aus. In seinem Heimatdorf wären wohl minus 40 Grad.


Wir stehen in einer Taxiwarteschlange in einem unterirdischen Tunnel. Taxen fahren hinein und nehmen Personen mit und fahren dann wieder an die Oberfläche. Eigentlich ein nicht sehr komplizierter Vorgang. Es stinkt erbärmlich nach Autoabgasen in diesem Tunnel. Irgendein genialer Kopf hat vergessen, dass seine unterirdische Taxistation eine Frischluftzufuhr benötigt. 

Dienstag, 26. November 2013


Szenerie 10


Ich würde sagen, dass ich ein wenig Wert auf mein äußeres Erscheinungsbild lege. Nicht übertrieben viel, aber ich glaube immerhin so viel, sodass der unvoreingenommene Bürger mich nicht direkt als Maschinenbaustudent klassifiziert.Ich bin halt eitel und stehe dazu. Ein besonderes Augenmerk lege ich dabei jedoch auf körperliche Fitness. Manchmal könnte man es fast "fanatisch" nennen. Schon einige Male hat meine Mutter mein Eiweißpulver versteckt, um zu verhindern, dass ihr eigener Sohn bald sein Handy nicht mehr ans eigene Ohr halten kann. Half alles nichts. Ich telefoniere jetzt nur noch mit der Freisprechanlage. Spaß.

Hier in Dalian habe ich mich mit ein paar Freunden bei einem Fitnessstudio angemeldet. Im Alltag verwendet man jedoch niemals den Begriff Fitnessstudio, sondern ausschließlich Synonyme wie „Tempel“ oder „Schmiede“. Passende Verben dazu wären dann „schmieden“ und „tempeln“. Ein kompletter Satz wäre dann z.B.: „Ich gehe um acht in die Schmiede“ oder „Ich gehe um acht tempeln.“. Ich denke man kann die Position meiner Mutter ein wenig nachvollziehen.


„Whytewolf“ nennt sich mein neuer Tempel. 

„Hast du deinen Reisepass mit?! Wir brauchen deine Passnummer für die Anmeldung!“
„Ehm, nee…?
„Egal, geht auch ohne!“, sagt die kurzhaarige Frau in einem Tonfall, der einen kurz darüber nachdenken lässt ob man sich jetzt gerade bei der Volksarmee verpflichtet oder aus freien Stücken ein Fitnessstudio aufgesucht hat. Gefühle wie ein Backstein. Wenn sie lächelt, dann sieht es so aus als hätte sie es sich mühselig antrainiert und würde ihr zugleich fürchterliche Schmerzen bereiten. Eine krassere Fehlbesetzung als Kundenbetreuerin direkt am Eingang ließe sich wohl kaum finden. Irgendetwas läuft nicht ganz rund mit den Verträgen. Sie hat die Namen irgendwie vertauscht. Ein Freund meint ich soll der Offizierin mal sagen, dass sie nichts kann und sowieso immer alles falsch im Leben macht. Einfach mal aus Spaß. Noch bevor ich den Satz aussprechen könnte hätte sie mir einfach mal aus Spaß eine Hantelscheibe gegen den Kopf geworfen.

33€ pro Monat, fast tägliche Anrufe von denen, weil die mir wieder irgendeinen Tanzkurs anbieten wollen und eine Männergesellschaft in den Umkleiden, die sich auch die Schamhaare nachdem Duschen föhnen. Ich hab‘s selbst gesehen. Die meisten Leute gehen dorthin, um sich in den Sesseln im Eingangsbereich niederzulassen, ihre Gesichter eventuell mit ein bisschen Wasser benetzen, um dann kurz darauf mit Selfpics ihren Fleiß dokumentieren. Hashtag du hast es bis nach China geschafft. Aber es gibt natürlich auch ehrgeizige Leute und pseudoüberehrgeizige Leute. Die Ehrgeizigen sind mir sympathisch. Von den Anderen gibt’s hier und da welche und sind daran zu erkennen, dass sie zu 100% Männer sind, manchmal eine fingerdicke Goldkette tragen, Oberkörper frei unterwegs sind und nach jedem Trainingssatz zum Spiegel laufen, um den wachsenden Bizeps online mit einem Hashtag zu versehen.


Die Toilette ist nicht besonders groß, aber so etwas würde mich ja nicht weiter stören. Wenn man es mal genau betrachtet betritt man keine 4qm große Toilette sondern, eine 4qm große Disco. Es läuft Lady Gaga-Pokerface auf einer Lautstärke, die definitiv die EU-Norm für 4qm große neon-beleuchtete weiß geflieste Toiletten überschritten hat. In diesem Augenblick frage ich mich wirklich was eigentlich das kleinere Übel ist. Der EU-Regulierungswahnsinn oder einfach mal so ne' kleine Minidisco mit Tinitusgarantie.

Montag, 4. November 2013


Szenerie 9


Der Friedhof der Kuscheltiere liegt zu meinen Füßen. Sie sind zum Verkauf gedacht und wurden alle sorgfältig auf einer Treppe vor dem Fake-Markt aufgereiht. In der Nähe sitzt ein gedankenverlorenes Mädchen auf einem Stuhl. Neben ihr hat sie einen einzelnen Lautsprecher aufgestellt, der den Passanten die neusten Tracks der chinesischen Gabbaszene an den Kopf hämmert. Ihre Körperhaltung und die der Kuscheltiere sind synchron. Sie kann nur die Verkäuferin sein oder eine unmotivierte Animateurin, die die toten Kuscheltiere zum Leben erwecken möchte.

Der Fake-Markt ist ein fünfstöckiges Gebäude indem es alle Produkte gibt, die man mehr oder weniger fälschen kann. Dicht an dicht liegen die Läden beieinander. Man kann Beats Kopfhörer kaufen, aber definitiv keine Beats Kopfhörer erwarten. Neben Handyverkäufer und Elektronikläden verkauft gleich daneben jemand Aquarien, Fische und Schildkröten. Der ein oder andere Goldfisch schwimmt bereits waagerecht durch seinen Glaskasten. 
Bei einem Schreibwarenhändler kaufe ich mir fünf Faber-Castell Bleistifte. Umgerechnet kosten sie vielleicht 50 Cent. Es steht sogar Made in Germany drauf.

In der nächsten Etage kann man sich mit allen nur vorstellbaren Kleidungsstücken einkleiden. Ein Verkäufer zeigt aufgeregt auf eine pinke Cap mit einem fransigen Polyesterüberzug. Oben auf der Cap ist ein kleines Rentiergeweih angenäht. Er meint sie würde mir stehen. Natürlich würde sie das. Die mit den Mickey-Mouse Ohren und die mit den Pikachu-Aufnähern kaufe ich gleich mit. Wenn er mir dann noch sagen würde, dass alle 100% Baumwolle sind, würde ich ihm das Doppelte zahlen. In einem anderen Stockwerk wurde alles mit Schuhen zugestellt. Plateauschuhe, Gummistiefel, Cowboystiefel, Chucks, Nikes, New Balance usw. Es stinkt wie in einer Reifenfabrik. Als würde noch nebenan jemand aus flüssigem Kautschuk und Sekundenkleber Schuhe zusammenbasteln. Ganz oben im Gebäude angekommen, kann man sich Hemden, Anzüge, Hosen und sonstige Kleidungsstücke Maßschneidern lassen. Man kann sich den Stoff und das Design selbst aussuchen und auch sonst jegliche Details der Schneiderin mitteilen. Umgerechnet kann man sich je nach Stoff einen Anzug für 30€-120€ anfertigen lassen. Auf das Angebot werde ich auf jeden Fall zurückkommen. Weißer Anzug, Schlangenleder Schuhe, weißer Hut kombiniert mit einem Gehstock mit goldenem Griff. So etwas stell ich mir vor.

Wir steigen in den Aufzug, um wieder nach unten zu gelangen. In der Ecke sitzt eine Frau, die den ganzen Tag nichts anderes tut als die Knöpfe des Fahrstuhls zu drücken. Den ganzen Tag sieht sie nichts anderes als diese 3qm mit Neonbeleuchtung. Ein wirklich bemitleidenswerter Job wie ich finde. Wie gut wir es doch haben. Draußen bläst mir der frische Wind ins Gesicht. Wobei die Luft in China mit 10-fach so hoher Feinstaubbelastung als in Deutschland auch nur bedingt „frisch“ ist. Manchmal glaube ich deshalb, dass Raucher in China, da sie öfters durch den Filter „atmen“, gesünder leben als Nichtraucher. Aber solange dies nicht bewiesen ist, werde ich Nichtraucher bleiben.


Szenerie 8


6:30 mein Handywecker klingelt. Es ist der klassische Marimba Xylophon Standardklingelton eines jeden Iphones. Falls die Chinesen nicht um vier Uhr morgens Raketen und Böller zünden, dann ist Marimba i.d.R. das erste was meinen Geist am morgen malträtiert. Um nicht nachdem Duschen zu frieren, putze ich mir unter Dusche neuerdings auch die Zähne. Mit der freien Hand mache ich mir abwechselnd Seitenscheitel, Mittelscheitel oder ne schmierige Juristenfrisur. Mit meinem Mund voller Zahnpastaschaum und einem Mittelscheitel könnte ich übrigens locker als Psychopath durchgehen.

Nach allerlei morgendlicher Körperhygiene verlasse ich das Haus. Es ist heute sehr frisch. Ich steige wie jeden Morgen in den überhitzten VW-Bus ein. Hier ist keine Sparsamkeit angesagt. Im VW-Werk tapezieren sie alles voll mit Aufklebern wo „Blue Thinking“ draufsteht. Erst die Klimaanlage ausschalten und dann das Fenster öffnen. Bitte eine eigene Tasse zum Kaffee trinken mitbringen, denn die Pappbecher sind umweltbelastend. Beim Hände abtrocknen bitte nur ein Blatt Papier verwenden. Ehe man in den Bus einsteigt kommt einem schon eine beißende Sahara-Hitze entgegen. Man kann nicht ganz einordnen ob die Insassen schlafen, längst in eine Hitzestarre verfallen sind oder vielleicht sogar darauf warten, dass ein nackter Mongole den nächsten Aufguss tätigt. Wenn man nicht sofort seine Jacke auszieht, läuft man der Gefahr im eigenen Saft zu ertrinken.

Im Büro haben wir eine Fliegenplage. Egal wie viele man totschlägt. Am nächsten Tag sind es mehr oder mindestens genauso viele wie am Vortag. Vor meinem Computer sitze ich mit einem Kaffee in der linken Hand und mit einer Fliegenklatsche in der rechten Hand. Eine Fliege landet neben meinem Kaffeebecher. Ich schlage zu. Die fliege lebt und der Kaffee entleert sich gierig über meiner Hose. Er ist überall nur nicht mehr im Becher. Ich stehe kurz vorm Ausraster. „Student läuft wegen einer Fliege mit Fliegenklatsche im VW-Werk Amok“ wäre die Schlagzeile. Fliegen fördern Terrorismus. Wer hätte das gedacht. In 10 Minuten ist das Morgenmeeting. Ich sehe aus als hätte ich beim Duschen die Hose anbehalten. Im Morgenmeeting fragt mich mein Sitznachbar was passiert ist. Ich erzähle ihn von der Fliege und dem Kaffee. Er freut sich sehr. 

Nachdem Meeting mache ich mir einen grünen Tee. Ich lehn mich zurück, stütz den Tee auf meinem Bauch ab und studiere ein Konzept zur Demontage eines Mechatronikbauteils. Auf einmal überkommt mich ein Schluckauf. Der Tee beginnt auf meinem Bauch zu wippen und schwappt über. Mein Hemd ist voll mit grünem Tee und meine Hose voll mit Kaffee. Es ist einer dieser Tage an dem man nur im Bett eine hohe Lebensqualität zu erwarten hat.

Montag, 21. Oktober 2013


Szenerie 7

Oft fragen mich Mitarbeiter nach technischen Begriffen. „Was heißt Schaltgabelmagnet auf Chinesisch?“, „Wie kann man Plasmanitration ins Chinesische übersetzen ?“ und „Wie drücke ich auf Deutsch aus, dass ich den Freiraum zwischen zwei unbündigen Zahnrädern meine?“. Manchmal muss ich mir das Problem erstmal zehn Minuten erklären lassen, damit ich verstehe was der Mann überhaupt von mir will. „Du weißt schon. Bei der Plasmanitration wird doch so ne korrosionsbeständige Verbindungsschicht mithilfe von Sticktstoff auf die Nockenstücke gedampft. Du kennst das auf jeden Fall ! Wie sagt man das auf Deutsch?“ Klar kenn ich das. Ich hab das Handbuch eurer Nitratöfen immer unter meinem Kopfkissen liegen. Fachchinesisch auf Chinesisch.
Neulich waren ein paar Mitarbeiter aus Südkorea, Beijing, Deutschland und irgendetwas Angelsächsisches zu Gast. Ein Ingenieur meiner Abteilung sollte eine Werksführung leiten. Ich musste das Gesprochene vom Chinesischen ins Deutsche und Englische übersetzen. Und dann ging es wieder los. „An dieser Drehmaschine stellen wir die Getriebewellen 1,2,3 her, hier werden die Aussparungen gefräst, hier ist die Mechatronik-Abteilung, natürlich ESD-Sicher, mit Sauberraum und wenn du rein willst, dann bitte erst mal entelektrisieren. Hier sehen Sie die Ölpumpe, hier im Unterkasten den elektrischen Gangsteller für das Getriebe und hier in den Drüsen hat man extra Mikromesser eingebaut, um mögliche Schmutzpartikel zu zerschneiden.“ Ja ne ist klar. Nach 2-3 Stunden Werksführung war mein Mund ein geschundenes Stück Fleisch.
Ich mache heute Überstunden. Der Artikel sei sehr wichtig und muss noch vor diesem Wochenende fertiggestellt werden. Er soll dann auf der Homepage veröffentlicht werden. Es ist mal etwas ganz anderes. Sätze ohne Schaltgabelmagnet und Co. Ein Arbeiter aus der Mechatronik hat seine Erfahrungen bei VW in einem Aufsatz zusammengefasst. Wenn man ihn komplett übersetzt hätte, dann würden sich die deutschen Mitarbeiter wohl ernsthafte Sorgen machen. Sätze wie „Der Wind streichelte meinen Ärmel zärtlich und erinnerte mich an den Hauch zweier sich Liebenden.“ existieren noch und nöcher. Ich lass‘ den überflüssigen Kitsch weg. Übersetze die Fakten. „Der Wind bläst“. 
Im letzten Abschnitt wird er dann zum träumenden Poeten. Weder ich noch meine chinesischen Mitarbeiter wissen was unser Konfuzius aus der Mechatronik ausdrücken möchte. Vielleicht hat er sich zu oft entelektrisiert. Auf einmal führt er ein lyrisches „Du“ ein, verliebt sich, listet nostalgische Momente seiner Jugend auf etc. . Am Ende steht : „Volkswagen ich liebe dich. Ich folge dir überall hin.“ Ähnlich abstrakt stell ich mir Faust II in Gebärdensprache vor. Ich wünschte ich dürfte jemandem Plasmanitration übersetzen. Denn das wüsste ich. 等离子硝化(denglizi xiaohua). 

Freitag, 18. Oktober 2013


Szenerie 6

Es ist ja irgendwie alles relativ. Für diese Erkenntnis muss man nicht Einstein sein. Ob es hier kalt im Winter ist frage ich. „Es geht“ lautet die Antwort immer. Wenn man fragt was „Es geht“ bedeutet, dann sagen sie dir „so minus 15 Grad“. Relativ kalt find ich. Wenn ich frage wie weit Harbin von Dalian entfernt ist, sagen sie „nicht so weit“. 12 Stunden mit dem Zug, wenn man nachfragt. Relativ lang find ich. Wenn im Aufzug ein Rauchenverboten-Schild klebt, dann lediglich zur Dekoration. Geraucht wird trotzdem. Wahrscheinlich auch nur so ein relativistischer Quatsch. Ähnliches Phänomen habe ich beim Straßenverkehr bemerken können. Fahrverhalten als wäre die Rot-Grün-Schwäche eine Nationalkrankheit. 
Es ist morgens. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Während uns zwei Autos ohne Nummernschilder entgegenkommen, fährt mein Taxifahrer über die rote Ampel und verschafft sich mit durchgehendem Hupen auf der Kreuzung Aufmerksamkeit. Danach spuckt er aus dem Fenster, nimmt das Kurzwellenmikro in die Hand, schreit launisch irgendetwas hinein und zündet sich dann eine Zigarette an. Es gilt das Gesetz des Dschungels und mein Taxifahrer hält sich für King Kong. Nur im Panzer kannst du hier absolut sicher vorm Tod sein. 
Neulich hat mir ein Praktikant einer anderen Firma von einem Mitarbeiter erzählt. Er arbeite wohl bereits seit über 15 Jahren hier in China. Er sei des Weiteren komplett assimiliert was den Straßenverkehr angehe. Wenn er rede, dann verwende er wohl ausschließlich Schimpfwörter. Die sinntragenden Wörter könne man deshalb an einer Hand abzählen. Er war früher wohl einmal Rallyfahrer, aber hat es nicht weit bringen können. Vielleicht seiner Wortwahl verschuldet. Er verwirklicht sich tagtäglich auf den Straßen Dalians und jagt seinem längst verblassten Traum als Michael Schuhmacher in einem VW Santana hinterher. Seine Tachonadel verlässt den roten Drehzahlbereich nie, weshalb wohl die ein oder andere Zylinderkopfdichtung passé ist. Man nennt ihn ganz stumpf Super Mario. Ich bin ihm nie begegnet, aber wenn ich mir meinen Taxifahrer anschaue, dann glaub ich die Geschichte sofort. Nach 15 Jahren China kann man einen Mann, den man Super Mario nennt, in seiner Heimat nicht mehr integrieren.
Mein Taxifahrer hält vor unserem Haupttor. Er will 4 RMB mehr haben als auf dem Zähler steht. 1 € sind ca. 8,2 RMB. Ich sage nein. Er argumentiert, dass es für mich relativ wenig Geld wäre. Jaja ich weiß. Es ist alles relativ. Sogar Super Marios Fahrstil.

Freitag, 11. Oktober 2013


Szenerie 5

Es muss von ganz unten kommen. Tief vom Herzen. Mit ganzer Überzeugung. Wenn man ihn dann gefunden hat, ihn fixiert hat und ihn gebündelt hat, dann muss man eine Verbindung mit dem Asphalt herstellen. Sobald diese Verbindung dann besteht, dann rotzen manche Chinesen ihren Schleim erbarmungslos in die Außenwelt. Als müsste man die Welt bereichern. So hat es mir ein Österreicher erklärt, der bereits mehrere Jahre hier lebt. Es ist erbarmungslos ekelig. Am verstörtesten ist man, wenn es Frauen machen. Ein Mitarbeiter, der hier bereits vier Jahre arbeitet, sah in seinem ersten Monat eine wunderhübsche Frau. Sie ging langsam an seinem Auto vorbei und er konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Dann stellte sie diese „Verbindung“ mit dem Asphalt her. Seitdem ist dieser Mann mental geschädigt. Selbst nach vier Jahren leidet er noch an diesem Trauma. Psychisch irreparabler Totalschaden.
Meistens läuft mir bereits ein Schauer über den Rücken, wenn sie ihn, also jenen Schleim, hochziehen. Der Vorgang des Hochziehens geht Hand in Hand mit einer einzigartigen Geräuschkulisse. Nach schätzungsweise zwei Sekunden, ich vermute das ist der Vorgang an dem die, ja wie soll ich sagen, Munition gebündelt wird, wird die Verbindung mit dem Asphalt hergestellt. Die Verbindung gelingt wahrscheinlich schon intuitiv. Vielleicht habe ich als Halbchinese auch noch irgendwo in mir dieses Gen versteckt, um diese sonderbaren kehligen Geräusche von mir zu geben.
Wie soll man da am besten reagieren? In der anfänglichen Phase verfiel ich recht häufig in eine Schockstarre. Man möchte nicht wahrhaben, dass jeder zweite Chinese begierig seinen Speichel mit seiner Umgebung teilen möchte. Gerade in bevölkerungsdichten Ländern sollte man doch auf Hygienestandards setzen, damit sich Krankheiten nicht schnell ausbreiten können. Da ich nach einer Zeit nicht genau wusste wie ich mit dieser Gepflogenheit umgehen soll, probiere ich mich neuerdings darin unmittelbar nach diesem verstörenden Geräusch an etwas Schönes, Fröhliches oder Gutriechendes zu denken. Gustav Klimt - Der Kuss, Kate Upton, Bankdrücken, Terre D‘Hérmes, Flieder, Lammkeule mit Rosmarin und so weiter. Am effektivsten sind aber wahrscheinlich Oropax.
Man bleibt wirklich nirgendwo verschont. Auf der Straße ist man froh, wenn man nicht reintritt. Im Büro wird häufig ein Kanon angesetzt. Auf der Toilette kann man aufgrund seiner eigenen Tätigkeit auch nicht so schnell die Flucht ergreifen. Im Restaurant hofft man, dass der chinesische Sitznachbar bei seinem Rotzreflex nicht aus Versehen an seiner Nudelsuppe erstickt.  Es verfolgt dich überall hin. Heute morgen vor meiner Haustür stand wieder einmal ein Mann, der wohl wie tausend Andere seinen Tag mit einem kehligen Ausspucken beginnt. Ich begann meinen mit Lammkeule und Rosmarin.