Montag, 4. November 2013


Szenerie 9


Der Friedhof der Kuscheltiere liegt zu meinen Füßen. Sie sind zum Verkauf gedacht und wurden alle sorgfältig auf einer Treppe vor dem Fake-Markt aufgereiht. In der Nähe sitzt ein gedankenverlorenes Mädchen auf einem Stuhl. Neben ihr hat sie einen einzelnen Lautsprecher aufgestellt, der den Passanten die neusten Tracks der chinesischen Gabbaszene an den Kopf hämmert. Ihre Körperhaltung und die der Kuscheltiere sind synchron. Sie kann nur die Verkäuferin sein oder eine unmotivierte Animateurin, die die toten Kuscheltiere zum Leben erwecken möchte.

Der Fake-Markt ist ein fünfstöckiges Gebäude indem es alle Produkte gibt, die man mehr oder weniger fälschen kann. Dicht an dicht liegen die Läden beieinander. Man kann Beats Kopfhörer kaufen, aber definitiv keine Beats Kopfhörer erwarten. Neben Handyverkäufer und Elektronikläden verkauft gleich daneben jemand Aquarien, Fische und Schildkröten. Der ein oder andere Goldfisch schwimmt bereits waagerecht durch seinen Glaskasten. 
Bei einem Schreibwarenhändler kaufe ich mir fünf Faber-Castell Bleistifte. Umgerechnet kosten sie vielleicht 50 Cent. Es steht sogar Made in Germany drauf.

In der nächsten Etage kann man sich mit allen nur vorstellbaren Kleidungsstücken einkleiden. Ein Verkäufer zeigt aufgeregt auf eine pinke Cap mit einem fransigen Polyesterüberzug. Oben auf der Cap ist ein kleines Rentiergeweih angenäht. Er meint sie würde mir stehen. Natürlich würde sie das. Die mit den Mickey-Mouse Ohren und die mit den Pikachu-Aufnähern kaufe ich gleich mit. Wenn er mir dann noch sagen würde, dass alle 100% Baumwolle sind, würde ich ihm das Doppelte zahlen. In einem anderen Stockwerk wurde alles mit Schuhen zugestellt. Plateauschuhe, Gummistiefel, Cowboystiefel, Chucks, Nikes, New Balance usw. Es stinkt wie in einer Reifenfabrik. Als würde noch nebenan jemand aus flüssigem Kautschuk und Sekundenkleber Schuhe zusammenbasteln. Ganz oben im Gebäude angekommen, kann man sich Hemden, Anzüge, Hosen und sonstige Kleidungsstücke Maßschneidern lassen. Man kann sich den Stoff und das Design selbst aussuchen und auch sonst jegliche Details der Schneiderin mitteilen. Umgerechnet kann man sich je nach Stoff einen Anzug für 30€-120€ anfertigen lassen. Auf das Angebot werde ich auf jeden Fall zurückkommen. Weißer Anzug, Schlangenleder Schuhe, weißer Hut kombiniert mit einem Gehstock mit goldenem Griff. So etwas stell ich mir vor.

Wir steigen in den Aufzug, um wieder nach unten zu gelangen. In der Ecke sitzt eine Frau, die den ganzen Tag nichts anderes tut als die Knöpfe des Fahrstuhls zu drücken. Den ganzen Tag sieht sie nichts anderes als diese 3qm mit Neonbeleuchtung. Ein wirklich bemitleidenswerter Job wie ich finde. Wie gut wir es doch haben. Draußen bläst mir der frische Wind ins Gesicht. Wobei die Luft in China mit 10-fach so hoher Feinstaubbelastung als in Deutschland auch nur bedingt „frisch“ ist. Manchmal glaube ich deshalb, dass Raucher in China, da sie öfters durch den Filter „atmen“, gesünder leben als Nichtraucher. Aber solange dies nicht bewiesen ist, werde ich Nichtraucher bleiben.

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