Montag, 21. Oktober 2013


Szenerie 7

Oft fragen mich Mitarbeiter nach technischen Begriffen. „Was heißt Schaltgabelmagnet auf Chinesisch?“, „Wie kann man Plasmanitration ins Chinesische übersetzen ?“ und „Wie drücke ich auf Deutsch aus, dass ich den Freiraum zwischen zwei unbündigen Zahnrädern meine?“. Manchmal muss ich mir das Problem erstmal zehn Minuten erklären lassen, damit ich verstehe was der Mann überhaupt von mir will. „Du weißt schon. Bei der Plasmanitration wird doch so ne korrosionsbeständige Verbindungsschicht mithilfe von Sticktstoff auf die Nockenstücke gedampft. Du kennst das auf jeden Fall ! Wie sagt man das auf Deutsch?“ Klar kenn ich das. Ich hab das Handbuch eurer Nitratöfen immer unter meinem Kopfkissen liegen. Fachchinesisch auf Chinesisch.
Neulich waren ein paar Mitarbeiter aus Südkorea, Beijing, Deutschland und irgendetwas Angelsächsisches zu Gast. Ein Ingenieur meiner Abteilung sollte eine Werksführung leiten. Ich musste das Gesprochene vom Chinesischen ins Deutsche und Englische übersetzen. Und dann ging es wieder los. „An dieser Drehmaschine stellen wir die Getriebewellen 1,2,3 her, hier werden die Aussparungen gefräst, hier ist die Mechatronik-Abteilung, natürlich ESD-Sicher, mit Sauberraum und wenn du rein willst, dann bitte erst mal entelektrisieren. Hier sehen Sie die Ölpumpe, hier im Unterkasten den elektrischen Gangsteller für das Getriebe und hier in den Drüsen hat man extra Mikromesser eingebaut, um mögliche Schmutzpartikel zu zerschneiden.“ Ja ne ist klar. Nach 2-3 Stunden Werksführung war mein Mund ein geschundenes Stück Fleisch.
Ich mache heute Überstunden. Der Artikel sei sehr wichtig und muss noch vor diesem Wochenende fertiggestellt werden. Er soll dann auf der Homepage veröffentlicht werden. Es ist mal etwas ganz anderes. Sätze ohne Schaltgabelmagnet und Co. Ein Arbeiter aus der Mechatronik hat seine Erfahrungen bei VW in einem Aufsatz zusammengefasst. Wenn man ihn komplett übersetzt hätte, dann würden sich die deutschen Mitarbeiter wohl ernsthafte Sorgen machen. Sätze wie „Der Wind streichelte meinen Ärmel zärtlich und erinnerte mich an den Hauch zweier sich Liebenden.“ existieren noch und nöcher. Ich lass‘ den überflüssigen Kitsch weg. Übersetze die Fakten. „Der Wind bläst“. 
Im letzten Abschnitt wird er dann zum träumenden Poeten. Weder ich noch meine chinesischen Mitarbeiter wissen was unser Konfuzius aus der Mechatronik ausdrücken möchte. Vielleicht hat er sich zu oft entelektrisiert. Auf einmal führt er ein lyrisches „Du“ ein, verliebt sich, listet nostalgische Momente seiner Jugend auf etc. . Am Ende steht : „Volkswagen ich liebe dich. Ich folge dir überall hin.“ Ähnlich abstrakt stell ich mir Faust II in Gebärdensprache vor. Ich wünschte ich dürfte jemandem Plasmanitration übersetzen. Denn das wüsste ich. 等离子硝化(denglizi xiaohua). 

Freitag, 18. Oktober 2013


Szenerie 6

Es ist ja irgendwie alles relativ. Für diese Erkenntnis muss man nicht Einstein sein. Ob es hier kalt im Winter ist frage ich. „Es geht“ lautet die Antwort immer. Wenn man fragt was „Es geht“ bedeutet, dann sagen sie dir „so minus 15 Grad“. Relativ kalt find ich. Wenn ich frage wie weit Harbin von Dalian entfernt ist, sagen sie „nicht so weit“. 12 Stunden mit dem Zug, wenn man nachfragt. Relativ lang find ich. Wenn im Aufzug ein Rauchenverboten-Schild klebt, dann lediglich zur Dekoration. Geraucht wird trotzdem. Wahrscheinlich auch nur so ein relativistischer Quatsch. Ähnliches Phänomen habe ich beim Straßenverkehr bemerken können. Fahrverhalten als wäre die Rot-Grün-Schwäche eine Nationalkrankheit. 
Es ist morgens. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Während uns zwei Autos ohne Nummernschilder entgegenkommen, fährt mein Taxifahrer über die rote Ampel und verschafft sich mit durchgehendem Hupen auf der Kreuzung Aufmerksamkeit. Danach spuckt er aus dem Fenster, nimmt das Kurzwellenmikro in die Hand, schreit launisch irgendetwas hinein und zündet sich dann eine Zigarette an. Es gilt das Gesetz des Dschungels und mein Taxifahrer hält sich für King Kong. Nur im Panzer kannst du hier absolut sicher vorm Tod sein. 
Neulich hat mir ein Praktikant einer anderen Firma von einem Mitarbeiter erzählt. Er arbeite wohl bereits seit über 15 Jahren hier in China. Er sei des Weiteren komplett assimiliert was den Straßenverkehr angehe. Wenn er rede, dann verwende er wohl ausschließlich Schimpfwörter. Die sinntragenden Wörter könne man deshalb an einer Hand abzählen. Er war früher wohl einmal Rallyfahrer, aber hat es nicht weit bringen können. Vielleicht seiner Wortwahl verschuldet. Er verwirklicht sich tagtäglich auf den Straßen Dalians und jagt seinem längst verblassten Traum als Michael Schuhmacher in einem VW Santana hinterher. Seine Tachonadel verlässt den roten Drehzahlbereich nie, weshalb wohl die ein oder andere Zylinderkopfdichtung passé ist. Man nennt ihn ganz stumpf Super Mario. Ich bin ihm nie begegnet, aber wenn ich mir meinen Taxifahrer anschaue, dann glaub ich die Geschichte sofort. Nach 15 Jahren China kann man einen Mann, den man Super Mario nennt, in seiner Heimat nicht mehr integrieren.
Mein Taxifahrer hält vor unserem Haupttor. Er will 4 RMB mehr haben als auf dem Zähler steht. 1 € sind ca. 8,2 RMB. Ich sage nein. Er argumentiert, dass es für mich relativ wenig Geld wäre. Jaja ich weiß. Es ist alles relativ. Sogar Super Marios Fahrstil.

Freitag, 11. Oktober 2013


Szenerie 5

Es muss von ganz unten kommen. Tief vom Herzen. Mit ganzer Überzeugung. Wenn man ihn dann gefunden hat, ihn fixiert hat und ihn gebündelt hat, dann muss man eine Verbindung mit dem Asphalt herstellen. Sobald diese Verbindung dann besteht, dann rotzen manche Chinesen ihren Schleim erbarmungslos in die Außenwelt. Als müsste man die Welt bereichern. So hat es mir ein Österreicher erklärt, der bereits mehrere Jahre hier lebt. Es ist erbarmungslos ekelig. Am verstörtesten ist man, wenn es Frauen machen. Ein Mitarbeiter, der hier bereits vier Jahre arbeitet, sah in seinem ersten Monat eine wunderhübsche Frau. Sie ging langsam an seinem Auto vorbei und er konnte kaum den Blick von ihr abwenden. Dann stellte sie diese „Verbindung“ mit dem Asphalt her. Seitdem ist dieser Mann mental geschädigt. Selbst nach vier Jahren leidet er noch an diesem Trauma. Psychisch irreparabler Totalschaden.
Meistens läuft mir bereits ein Schauer über den Rücken, wenn sie ihn, also jenen Schleim, hochziehen. Der Vorgang des Hochziehens geht Hand in Hand mit einer einzigartigen Geräuschkulisse. Nach schätzungsweise zwei Sekunden, ich vermute das ist der Vorgang an dem die, ja wie soll ich sagen, Munition gebündelt wird, wird die Verbindung mit dem Asphalt hergestellt. Die Verbindung gelingt wahrscheinlich schon intuitiv. Vielleicht habe ich als Halbchinese auch noch irgendwo in mir dieses Gen versteckt, um diese sonderbaren kehligen Geräusche von mir zu geben.
Wie soll man da am besten reagieren? In der anfänglichen Phase verfiel ich recht häufig in eine Schockstarre. Man möchte nicht wahrhaben, dass jeder zweite Chinese begierig seinen Speichel mit seiner Umgebung teilen möchte. Gerade in bevölkerungsdichten Ländern sollte man doch auf Hygienestandards setzen, damit sich Krankheiten nicht schnell ausbreiten können. Da ich nach einer Zeit nicht genau wusste wie ich mit dieser Gepflogenheit umgehen soll, probiere ich mich neuerdings darin unmittelbar nach diesem verstörenden Geräusch an etwas Schönes, Fröhliches oder Gutriechendes zu denken. Gustav Klimt - Der Kuss, Kate Upton, Bankdrücken, Terre D‘Hérmes, Flieder, Lammkeule mit Rosmarin und so weiter. Am effektivsten sind aber wahrscheinlich Oropax.
Man bleibt wirklich nirgendwo verschont. Auf der Straße ist man froh, wenn man nicht reintritt. Im Büro wird häufig ein Kanon angesetzt. Auf der Toilette kann man aufgrund seiner eigenen Tätigkeit auch nicht so schnell die Flucht ergreifen. Im Restaurant hofft man, dass der chinesische Sitznachbar bei seinem Rotzreflex nicht aus Versehen an seiner Nudelsuppe erstickt.  Es verfolgt dich überall hin. Heute morgen vor meiner Haustür stand wieder einmal ein Mann, der wohl wie tausend Andere seinen Tag mit einem kehligen Ausspucken beginnt. Ich begann meinen mit Lammkeule und Rosmarin.

Mittwoch, 9. Oktober 2013


Szenerie 4

Ich war am Wochenende mal feiern.  Also feiern nach mehr oder weniger westlichen Stil. Davor die Abende waren eher so Sitzveranstaltungen. Die meisten Clubs hier sind so konzipiert, dass man sich dort an einen Tisch setzt, ein Bier trinkt und sich luftig gekleidete Frauen bei  Stangenturnübungen anschaut.  Ist ja nicht verwerflich. Unterhalten geht dabei leider nicht, weil die Musik einfach zu laut ist. Man muss sich schon ins Ohr schreien, um bloß mitteilen zu wollen, dass man eben auf die Toilette verschwindet. Bei einer Konversation mit mehr als drei Sätzen würde der totale Hörverlust deshalb unimittelbar folgen.  Die Tänzerinnen haben mich trotzdem sehr beeindruckt. Nach ein paar Räkelübungen wurde uns die Geschichte zu monton und wir gingen ins JD’s.  Soll wohl eher ein Club nach meinem Verständnis sein.
Koreaner, Japaner, Inder, Chinesen, Amerikaner, Russen, Briten und natürlich auch Deutsche zappelten dort Hand in Hand. Einer schräger als der andere. Ein Chinese im HipHop-Verschnitt hatte Rasterlocken und sich zusätzlich neonfarbene Schnürsenkel hinein geflochten. Warum auch nicht. An seinen Schuhen hatte er dann aber wiederum keine. Paar Russen und paar Koreaner waren dort mit einem gewissen Klassenstreberlook unterwegs. Vielleicht dem Psy-Hype verschuldet. Eine Japanerin, die zuvor noch in der Lounge Alicia Keys – No One  mit eigener Klavierbegleitung performt hatte, kam mit mir ins Gespräch. Ich wollte ihr eine Zigarette anzünden. Sie zuckte jedes Mal zurück als ich ihr das Feuerzeug hinhielt. Nachdem vierten Mal zucken fragte ich was sie denn da tue. Ich wollte fast schon sagen, dass ich mich mit Zwangsneurosen auskenne. Sie lallte sie sei schüchtern. Mein Geduldsfaden riss und die Zigarette blieb aus. Ein weiterer asiatischer Kerl tanzte mit geschlossenen Augen auf einer Box und vollführte eigenartige Bewegungen mit seinen Händen. Man hätte glauben können er beschwöre gerade einen Geist.
Die Musik war sowieso der Hammer. Neben aggressiver Technomusik wurden gelegentlich Klassiker aus verschiedenen Nationen gespielt. Russischer HipHop lief bestimmt eine Stunde lang. Bei Gangnam-Style war sowieso Ausnahmezustand. Der ein oder andere Koreaner hätte wohl vor Euphorie am liebsten seine Nationalhymne damit ersetzt.  Klassiker wie Macarena durften natürlich auch nicht fehlen. Das Japangedudel verstand ich so wenig wie das Russische, aber wen stört das hier schon. Womit man das „Deutschsprachige“  vertreten hat war dann leider eher beschämend. Nein, es war nicht Andrea Nahles mit Pipi Langstrumpf, aber fast genauso schlimm. Dj Ötzis Hit Hey Baby veranlasste mich dann freiwillig den Dancefloor beschämt in Richtung einer dunklen Ecke zu verlassen.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Szenerie 3


Es sind momentan chinesische Nationalfeiertage. Ich kann leider nicht genau in Erfahrung bringen was eigentlich gefeiert wird. Allen Anschein zufolge hat es was mit der Gründung Chinas 1949 zutun, aber vertraut mir lieber nicht. Aufgrund der Nationalfeiertage ist auch hier in Dalian die Sau los, der Hund inner Pfanne und die Katz gebraten ausm Sack. Ihr wisst schon was ich meine. Menschen soweit das Auge reicht.

An Straßenecken gibts New Balance Schuhe mit spiegelverkehrten „N“ draufgenäht, ein Schreihals, der ununterbrochen „Dalian“ brüllt und damit kundtun möchte, dass er noch Platz im Taxi hat, erinnert mich an Klaus Kinski in Hochform. Ob sie auch schon Menschen fälschen ? Es wäre gewiss eine Marktlücke.
Ich begebe mich in Richtung meines Lieblingscafes, das MAAN Coffee, dessen Inneneinrichtung auf eine rustikale Art und Weise mir sehr liegt. Eine alte Industriehalle hat man renoviert, jedoch wurde ihr ursprünglicher Touch teilweise beibehalten. Bevor ich jedoch beim Cafe bin, muss ich noch durch den „Werbetunnel“.

Um die Straße zu überqueren wurde eine Unterführung angelegt. Schon in Deutschland werd ich zum Hirsch, wenn mir Leute Flyer in die Hand drücken, ein Abo von irgendeiner Zeitung andrehen möchten oder wenn mir Ergo-Handlanger Komplimente machen, um mich gleich im nächsten Satz in ihr dubioses schneeballprinzipähnliches Kartell einweihen wollen. Der Werbetunnel ist all dies nur hoch tausend. Sie stehen links. Sie stehen rechts. Überall sind Menschen in der Unterführung, quatschen durcheinander und wedeln dir mit Flyern vor der Nase rum als wollten sie professionell Insekten verjagen. Würde man alle Flyer entgegennehmen, man müsste auf der anderen Straßenseite mit einem telefonbuchdicken Stapel wieder an die Oberfläche treten.Im Hintergrund läuft aus verschiedenen Lautsprechern Techno oder verzerrte Werbestimmen in Dauerschleife. Kauf dies, kauf das. So sieht also der angewandte Kommunismus aus. Die kommende Ballettshow, ein Meisterwerk, die Breakdancecrew aus Peking, sowieso unschlagbar, und warum ich mir keine Wohnung kaufe für 360€/qm mit Meerblick, weil meine Grenze 359 € ist. Nervt mich doch bitte nicht.

Später am Abend geht es dann mit einigen Kollegen auf eine kleine Bar-Sideseeingtour. So sagt zumindest einer von ihnen. Es gibt viel Wodka etwas Bier und eine Asiatin, die wahrscheinlich schon im Mutterleib mit einem Kickertisch gespielt hat. Sie ist mir haushoch überlegen. Ich erzähl ihr ich würde grundsätzlich Frauen gewinnen lassen. Sie lacht. Ich bleibe ernst. Ich erinnere mich an ein Meme mit der Botschaft:“ When you think you are good at something remember there is always an Asian to humiliate you.“ 

Um 5 Uhr morgens geht es nach Hause. Ich trete in meine Wohnung. Eine ungünstige Bewegung. Die Schulter streift das Wandtelefon. Es fällt wie von Geisterhand von der Wand. Die Standards halt. Ich ziehe die Gardine zu und in der Ferne hellt es bereits auf. Um 8 uhr knallt und donnert es als würde noch im nächsten Augenblick ein Sonderkommando in meine Wohnung stürmen, um mich dafür zu belangen, dass ich heimlich Facebook verwende. Der Elektronikladen unten feiert sein Jubiläum und will auf sich aufmerksam machen. Je lauter desto besser ist das Motto. Vier Frauen dreschen auf mannsgroße Trommeln ein und als ob das noch nicht martialisch genug wäre werden abwechselnd dazu Böller und Raketen gezündet. Der Werbetunnel ist Überall. Mein Hirn schmerzt furchtbar und will förmlich aus meinem Schädel ausbrechen. Mir geht wirklich nicht gut. Ich blicke zur Haustür und sehe ein ausgerissenes Wandtelefon.