Dienstag, 26. November 2013


Szenerie 10


Ich würde sagen, dass ich ein wenig Wert auf mein äußeres Erscheinungsbild lege. Nicht übertrieben viel, aber ich glaube immerhin so viel, sodass der unvoreingenommene Bürger mich nicht direkt als Maschinenbaustudent klassifiziert.Ich bin halt eitel und stehe dazu. Ein besonderes Augenmerk lege ich dabei jedoch auf körperliche Fitness. Manchmal könnte man es fast "fanatisch" nennen. Schon einige Male hat meine Mutter mein Eiweißpulver versteckt, um zu verhindern, dass ihr eigener Sohn bald sein Handy nicht mehr ans eigene Ohr halten kann. Half alles nichts. Ich telefoniere jetzt nur noch mit der Freisprechanlage. Spaß.

Hier in Dalian habe ich mich mit ein paar Freunden bei einem Fitnessstudio angemeldet. Im Alltag verwendet man jedoch niemals den Begriff Fitnessstudio, sondern ausschließlich Synonyme wie „Tempel“ oder „Schmiede“. Passende Verben dazu wären dann „schmieden“ und „tempeln“. Ein kompletter Satz wäre dann z.B.: „Ich gehe um acht in die Schmiede“ oder „Ich gehe um acht tempeln.“. Ich denke man kann die Position meiner Mutter ein wenig nachvollziehen.


„Whytewolf“ nennt sich mein neuer Tempel. 

„Hast du deinen Reisepass mit?! Wir brauchen deine Passnummer für die Anmeldung!“
„Ehm, nee…?
„Egal, geht auch ohne!“, sagt die kurzhaarige Frau in einem Tonfall, der einen kurz darüber nachdenken lässt ob man sich jetzt gerade bei der Volksarmee verpflichtet oder aus freien Stücken ein Fitnessstudio aufgesucht hat. Gefühle wie ein Backstein. Wenn sie lächelt, dann sieht es so aus als hätte sie es sich mühselig antrainiert und würde ihr zugleich fürchterliche Schmerzen bereiten. Eine krassere Fehlbesetzung als Kundenbetreuerin direkt am Eingang ließe sich wohl kaum finden. Irgendetwas läuft nicht ganz rund mit den Verträgen. Sie hat die Namen irgendwie vertauscht. Ein Freund meint ich soll der Offizierin mal sagen, dass sie nichts kann und sowieso immer alles falsch im Leben macht. Einfach mal aus Spaß. Noch bevor ich den Satz aussprechen könnte hätte sie mir einfach mal aus Spaß eine Hantelscheibe gegen den Kopf geworfen.

33€ pro Monat, fast tägliche Anrufe von denen, weil die mir wieder irgendeinen Tanzkurs anbieten wollen und eine Männergesellschaft in den Umkleiden, die sich auch die Schamhaare nachdem Duschen föhnen. Ich hab‘s selbst gesehen. Die meisten Leute gehen dorthin, um sich in den Sesseln im Eingangsbereich niederzulassen, ihre Gesichter eventuell mit ein bisschen Wasser benetzen, um dann kurz darauf mit Selfpics ihren Fleiß dokumentieren. Hashtag du hast es bis nach China geschafft. Aber es gibt natürlich auch ehrgeizige Leute und pseudoüberehrgeizige Leute. Die Ehrgeizigen sind mir sympathisch. Von den Anderen gibt’s hier und da welche und sind daran zu erkennen, dass sie zu 100% Männer sind, manchmal eine fingerdicke Goldkette tragen, Oberkörper frei unterwegs sind und nach jedem Trainingssatz zum Spiegel laufen, um den wachsenden Bizeps online mit einem Hashtag zu versehen.


Die Toilette ist nicht besonders groß, aber so etwas würde mich ja nicht weiter stören. Wenn man es mal genau betrachtet betritt man keine 4qm große Toilette sondern, eine 4qm große Disco. Es läuft Lady Gaga-Pokerface auf einer Lautstärke, die definitiv die EU-Norm für 4qm große neon-beleuchtete weiß geflieste Toiletten überschritten hat. In diesem Augenblick frage ich mich wirklich was eigentlich das kleinere Übel ist. Der EU-Regulierungswahnsinn oder einfach mal so ne' kleine Minidisco mit Tinitusgarantie.

Montag, 4. November 2013


Szenerie 9


Der Friedhof der Kuscheltiere liegt zu meinen Füßen. Sie sind zum Verkauf gedacht und wurden alle sorgfältig auf einer Treppe vor dem Fake-Markt aufgereiht. In der Nähe sitzt ein gedankenverlorenes Mädchen auf einem Stuhl. Neben ihr hat sie einen einzelnen Lautsprecher aufgestellt, der den Passanten die neusten Tracks der chinesischen Gabbaszene an den Kopf hämmert. Ihre Körperhaltung und die der Kuscheltiere sind synchron. Sie kann nur die Verkäuferin sein oder eine unmotivierte Animateurin, die die toten Kuscheltiere zum Leben erwecken möchte.

Der Fake-Markt ist ein fünfstöckiges Gebäude indem es alle Produkte gibt, die man mehr oder weniger fälschen kann. Dicht an dicht liegen die Läden beieinander. Man kann Beats Kopfhörer kaufen, aber definitiv keine Beats Kopfhörer erwarten. Neben Handyverkäufer und Elektronikläden verkauft gleich daneben jemand Aquarien, Fische und Schildkröten. Der ein oder andere Goldfisch schwimmt bereits waagerecht durch seinen Glaskasten. 
Bei einem Schreibwarenhändler kaufe ich mir fünf Faber-Castell Bleistifte. Umgerechnet kosten sie vielleicht 50 Cent. Es steht sogar Made in Germany drauf.

In der nächsten Etage kann man sich mit allen nur vorstellbaren Kleidungsstücken einkleiden. Ein Verkäufer zeigt aufgeregt auf eine pinke Cap mit einem fransigen Polyesterüberzug. Oben auf der Cap ist ein kleines Rentiergeweih angenäht. Er meint sie würde mir stehen. Natürlich würde sie das. Die mit den Mickey-Mouse Ohren und die mit den Pikachu-Aufnähern kaufe ich gleich mit. Wenn er mir dann noch sagen würde, dass alle 100% Baumwolle sind, würde ich ihm das Doppelte zahlen. In einem anderen Stockwerk wurde alles mit Schuhen zugestellt. Plateauschuhe, Gummistiefel, Cowboystiefel, Chucks, Nikes, New Balance usw. Es stinkt wie in einer Reifenfabrik. Als würde noch nebenan jemand aus flüssigem Kautschuk und Sekundenkleber Schuhe zusammenbasteln. Ganz oben im Gebäude angekommen, kann man sich Hemden, Anzüge, Hosen und sonstige Kleidungsstücke Maßschneidern lassen. Man kann sich den Stoff und das Design selbst aussuchen und auch sonst jegliche Details der Schneiderin mitteilen. Umgerechnet kann man sich je nach Stoff einen Anzug für 30€-120€ anfertigen lassen. Auf das Angebot werde ich auf jeden Fall zurückkommen. Weißer Anzug, Schlangenleder Schuhe, weißer Hut kombiniert mit einem Gehstock mit goldenem Griff. So etwas stell ich mir vor.

Wir steigen in den Aufzug, um wieder nach unten zu gelangen. In der Ecke sitzt eine Frau, die den ganzen Tag nichts anderes tut als die Knöpfe des Fahrstuhls zu drücken. Den ganzen Tag sieht sie nichts anderes als diese 3qm mit Neonbeleuchtung. Ein wirklich bemitleidenswerter Job wie ich finde. Wie gut wir es doch haben. Draußen bläst mir der frische Wind ins Gesicht. Wobei die Luft in China mit 10-fach so hoher Feinstaubbelastung als in Deutschland auch nur bedingt „frisch“ ist. Manchmal glaube ich deshalb, dass Raucher in China, da sie öfters durch den Filter „atmen“, gesünder leben als Nichtraucher. Aber solange dies nicht bewiesen ist, werde ich Nichtraucher bleiben.


Szenerie 8


6:30 mein Handywecker klingelt. Es ist der klassische Marimba Xylophon Standardklingelton eines jeden Iphones. Falls die Chinesen nicht um vier Uhr morgens Raketen und Böller zünden, dann ist Marimba i.d.R. das erste was meinen Geist am morgen malträtiert. Um nicht nachdem Duschen zu frieren, putze ich mir unter Dusche neuerdings auch die Zähne. Mit der freien Hand mache ich mir abwechselnd Seitenscheitel, Mittelscheitel oder ne schmierige Juristenfrisur. Mit meinem Mund voller Zahnpastaschaum und einem Mittelscheitel könnte ich übrigens locker als Psychopath durchgehen.

Nach allerlei morgendlicher Körperhygiene verlasse ich das Haus. Es ist heute sehr frisch. Ich steige wie jeden Morgen in den überhitzten VW-Bus ein. Hier ist keine Sparsamkeit angesagt. Im VW-Werk tapezieren sie alles voll mit Aufklebern wo „Blue Thinking“ draufsteht. Erst die Klimaanlage ausschalten und dann das Fenster öffnen. Bitte eine eigene Tasse zum Kaffee trinken mitbringen, denn die Pappbecher sind umweltbelastend. Beim Hände abtrocknen bitte nur ein Blatt Papier verwenden. Ehe man in den Bus einsteigt kommt einem schon eine beißende Sahara-Hitze entgegen. Man kann nicht ganz einordnen ob die Insassen schlafen, längst in eine Hitzestarre verfallen sind oder vielleicht sogar darauf warten, dass ein nackter Mongole den nächsten Aufguss tätigt. Wenn man nicht sofort seine Jacke auszieht, läuft man der Gefahr im eigenen Saft zu ertrinken.

Im Büro haben wir eine Fliegenplage. Egal wie viele man totschlägt. Am nächsten Tag sind es mehr oder mindestens genauso viele wie am Vortag. Vor meinem Computer sitze ich mit einem Kaffee in der linken Hand und mit einer Fliegenklatsche in der rechten Hand. Eine Fliege landet neben meinem Kaffeebecher. Ich schlage zu. Die fliege lebt und der Kaffee entleert sich gierig über meiner Hose. Er ist überall nur nicht mehr im Becher. Ich stehe kurz vorm Ausraster. „Student läuft wegen einer Fliege mit Fliegenklatsche im VW-Werk Amok“ wäre die Schlagzeile. Fliegen fördern Terrorismus. Wer hätte das gedacht. In 10 Minuten ist das Morgenmeeting. Ich sehe aus als hätte ich beim Duschen die Hose anbehalten. Im Morgenmeeting fragt mich mein Sitznachbar was passiert ist. Ich erzähle ihn von der Fliege und dem Kaffee. Er freut sich sehr. 

Nachdem Meeting mache ich mir einen grünen Tee. Ich lehn mich zurück, stütz den Tee auf meinem Bauch ab und studiere ein Konzept zur Demontage eines Mechatronikbauteils. Auf einmal überkommt mich ein Schluckauf. Der Tee beginnt auf meinem Bauch zu wippen und schwappt über. Mein Hemd ist voll mit grünem Tee und meine Hose voll mit Kaffee. Es ist einer dieser Tage an dem man nur im Bett eine hohe Lebensqualität zu erwarten hat.